Kinderarmut in der Schweiz


Datum
18. März 2018

Schlagwörter
Armut   Bildung   Eltern   Familie   Kinder   Uster  

Beitrag auch im Jahresbericht 2017 des Familienzentrum Uster

Kinderarmut in der Schweiz: Viele können sich diese kaum vorstellen, und doch ist in der Schweiz jedes achte bis zehnte Kind von Armut betroffen. Doch was ist Armut überhaupt, wer leidet unter ihr, und wie zeigt sie sich im Alltag? Mit der gesellschaftlichen Entwicklung hat sich auch die Form von Armut verändert. Früher zeigte sich Armut, wie noch heute in wirtschaftlich wenig entwickelten Regionen Europas und der Welt, als ein Phänomen, das breite Bevölkerungsschichten umfasste und für viele zum Leben gehörte. Es bedeutete, dass man in starken Abhängigkeiten lebte, viel zu entbehren hatte und nicht selten Hunger leiden musste. Man war jedoch innerhalb seiner sozialen Klasse in die Gesellschaft integriert und teilte das Leid mit vielen anderen. Die wirtschaftliche Entwicklung und die sozialen Sicherungssysteme führten dazu, dass diese Form immer mehr verschwand und Armut zunehmend als Ausnahmephänomen wahrgenommen wurde. Sie betraf fortan nur noch eine kleine Gruppe, die von der Gesellschaft zwar als randständig, aber auch als unterstützungswürdig wahrgenommen wurde. Armut trat vorwiegend in Form der Marginalisierung auf.

Auch wenn gerade die letzte Form der Armut weiter existiert, haben wir es heute zunehmend mit einem neuen Phänomen von Armut zu tun: Sie betrifft immer mehr Menschen, die von der wirtschaftlichen Entwicklung ausgeschlossen sind. Oft sind sie im wachsenden Arbeitsmarkt der Temporär-Angestellten tätig, haben ein unsicheres Einkommen und sind wiederholt auf Unterstützung angewiesen. Fehlende oder unpassende Bildungsabschlüsse sind Zeichen der verhältnismässig geringen Qualifikation und erschweren den Zugang zum (heutigen) hochkompetitiven sowie anspruchsvollen Arbeitsmarkt. Der Wohlfahrtsstaat zeigt sich überfordert derartige Formen von Armut aufzufangen und nachhaltig zu bewältigen. Diese Armut nimmt in allen wirtschaftlich hochentwickelten Ländern zu.

Es fehlt nicht einfach an Geld, sondern es fehlt an formaler Bildung, an ökonomisch verwertbaren sozialen Beziehungen und weiteren Kapitalsorten. Es ist die Benachteiligung auf unterschiedlichen Ebenen und in verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen, die sich gegenseitig verstärken. In der globalisierten Dienstleistungsgesellschaft ist Armut nicht einfach eine Frage der finanziellen Ressourcen: Gerade wenn wir an Kinderarmut denken, ist dies von grosser Bedeutung. Kinder brauchen Anregung, sie brauchen Unterstützung und sie profitieren, wenn sie in einer Umgebung aufwachsen, die sie fördert. Wenn jedoch beide Eltern von morgens früh bis abends spät arbeiten müssen, um finanziell über die Runden zu kommen, und wenn die Sorgen über die Knappheit täglich die Gedanken quälen, so bleibt wenig Zeit und noch weniger Energie, um die eigenen Kinder zu fördern. Die Eltern belastet das nicht selten zusätzlich, sie schämen sich und wissen keinen Ausweg aus der Sackgasse. Dieses Leiden zeigt sich schliesslich auch im Verlust von Beziehungen im sozialen Nahbereich: Man hat weniger Freunde, und auch bei der Erziehung ist man stärker auf sich selbst gestellt.

Wenn wir diese Dynamik sehen, ist es leicht zu verstehen, wieso Kinder, die von Armut betroffen sind, ein deutlich grösseres Risiko haben, auch im Erwachsenenalter arm zu bleiben. Wenn wir daran denken, dass jedes achte bis zehnte Kind von Armut betroffen ist, wird die gesellschaftliche Dimension klar. Auch wenn diese neue Form der Armut bei uns noch nicht so stark verbreitet ist. Auch wenn unsere Institutionen wie Schule, Familienzentren aber auch Arbeitslosenkasse, Invalidenversicherung und Sozialhilfe eine grosse Integrationsleistung erbringen und viele Probleme auffangen können, sprechen wir auch bei uns nicht mehr von einem Randphänomen.

Eine grosse Anzahl an Kinder leidet unter Armut und startet ihr Leben mit deutlich reduzierten Chancen.

Literatur

  • Kronauer, M. (2010). Exklusion. die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapitalismus. Frankfurt: Campus-Verlag.
  • Mattes, C., & Wyss, A. (2011). Integrierte und flexible Hilfen zur Armutsbekämpfung in Basel-Stadt (Flexihelp). Institutional Repository FHNW.
  • Meyer, I. (Hrsg.). (2012). Sozialalmanach 2012 – Arme Kinder. Das Caritas-Jahrbuch zur sozialen Lage der Schweiz. Luzern: Caritas-Verlag.
  • Paugam, S. (2008). Die elementaren Formen der Armut. Hamburg: Hamburger Edition.
  • Zander, M. (Hrsg.). (2010). Kinderarmut. Einführendes Handbuch für Forschung und soziale Praxis (2. Auflage Ausg.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.