Eigenverantwortung


Datum
31. August 2012

Schlagwörter
Eigenverantwortung   Freiheit   Theorie  

Die Bedeutung von Eigenverantwortung wird im Duden (2012: o.S.) umschrieben als die «eigene, selbst zu tragende Verantwortung». Selbstverantwortung ist dem sehr nahe und wird im Duden mit «Verantwortung für das eigene Handeln» definiert. Eigenverantwortung und Selbstverantwortung setzen sich aus den Wörtern «eigen», respektive «selbst» und «Verantwortung» zusammen. «Eigen» wird im Duden umschrieben als einer Sache oder einer Person zugehörend. Es handelt sich also um den Bezug zu etwas oder jemandem, in diesem Fall um die Person, die Verantwortung zu übernehmen hat. Synonyme zum Wort «selbst» sind «allein, aus eigener Kraft, eigenhändig, eigenständig, im Alleingang, ohne fremde Hilfe, ohne Unterstützung, selbstständig, von sich aus» (ebd.).

Verantwortung wird «(mit einer bestimmten Aufgabe, einer bestimmten Stellung verbundene) Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass (innerhalb eines bestimmten Rahmens) alles einen möglichst guten Verlauf nimmt, das jeweils Notwendige und Richtige getan wird und möglichst kein Schaden entsteht» oder auch «Verpflichtung, für etwas Geschehenes einzustehen (und sich zu verantworten)» (ebd.). Im dtv-Lexikon (1999) wird die enge Verknüpfung von Verantwortung mit dem Begriff der Freiheit betont, so «ist Verantwortung (…) nur bei einem Handeln aus Freiheit (…) sinnvoll denkbar.» (ebd., Band 6: 112f.) Daraus schlussfolgernd, kann gesagt werden, dass mit Selbstund Eigenverantwortung die Verpflichtung gemeint ist, für das in Freiheit erfolgte eigene Handeln einzustehen und das eigene Handeln darauf abzustimmen.

Freiheit
Der Begriff der Eigenrespektive Selbstverantwortung orientiert sich, wie bereits dargelegt, an einer Vorstellung von Freiheit. In diesem Sinne ist davon auszugehen, dass durch die Zuschreibung von Eigenverantwortung an eine Person oder eine Bevölkerungsgruppe auch eine Zuschreibung von (Handlungs-)Freiheit erfolgt. Der Mensch wird somit als handelndes und freies Wesen begriffen, das Verantwortung übernehmen kann. Hinter jeder Zuschreibung von Eigenverantwortung muss also eine implizite oder explizite Vorstellung von Freiheit vermutet werden.
Eine Definition von Eigenverantwortung ist somit nur möglich, wenn auch eine Konzeption von Freiheit vorhanden ist. Freiheit wird jedoch «je nach philosophischer oder weltanschaulicher Position unterschiedlich definiert und bewertet» (ebd., Band 19: 111), Freiheit wird «meist in Gegensetzung zur Determination, Kausalität, Zwang (und im allgemeinen) auch zur Notwendigkeit gebraucht» (ebd.). Eine schlüssige und in sich stimmige Konzeption von Eigenverantwortung endet stark vereinfacht da, wo die Person aufgrund von Kausalität, Determination, Zwang oder Notwendigkeit keine Handlungsalternativen hat. Umgekehrt, und dies ist dem Umstand der sehr unterschiedlichen Auslegung von Freiheit geschuldet, haftet dem Begriff eine grundsätzliche Unschärfe an. Eigenverantwortung kann je nach weltanschaulicher oder philosophischer und (damit auch) politischer Ansicht eine sehr unterschiedliche Bedeutung annehmen. Die Konzeption von Eigenverantwortung im politischen Kontext kann somit nur ideologisch und nicht empirisch sein (mit Ausnahme eines von Weltanschauung befreiten technokratischen politischen Kontextes).

Diskurse
Den neueren Diskurs über Eigenverantwortung verortet Bernhard Degen (vgl. 2006: 95) um das Jahr 1990, da zuvor kaum Publikationen über oder zur Eigenverantwortung zu verzeichnen sind. Für ihn ist mit dem Diskurs über Eigenverantwortung vor allem eine Rechtfertigungsstrategie für «Reformen zur Steigerung von Effektivität und Effizienz» (ebd.) in der Sozialpolitik verbunden. Trotz der zeitlichen Verortung des Diskurses ab dem Jahr 1990 sieht er darin eine ältere und grundsätzlichere Frage nach Schuld und Unschuld des Individuums für eine eigene Notlage und deren Bedeutung für den Zugang zu Hilfen (vgl. ebd.: 96).

Walter Schmid (vgl. 2006: 107f.) wiederum betont die immanenten Abhängigkeiten innerhalb der Gesellschaft, die einer Eigenverantwortung für alle Lebensbereiche entgegensteht. Er sieht ein grundsätzliches Recht auf sozialstaatliche Leistungen, gerade weil Menschen Verantwortung übernehmen. Es ist jedoch so, dass «Eigenleistungen nur erbracht werden können, wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind» (ebd.: 109).

Der Forderung nach mehr Eigenverantwortung inne ist die Überzeugung, dass Armut und wirtschaftliche Fehlentwicklungen auf ein Staatsversagen und nicht auf ein Marktversagen zurückzuführen sind. Hinter dieser Annahme steht der Gedanke, dass der Sozialstaat durch seine Angebote ein Anspruchsdenken erzeugen würde, die der Leistungsbereitschaft des Individuums schade (vgl. Noti 2006: 85f.). Ebenso wie der Sozialstaat wird jedoch auch das vom Sozialstaat abhängige Individuum in die Verantwortung genommen und Eigenverantwortung wird Voraussetzung für die Solidarität (vgl. ebd.). Aus der Hilfe für eine Notlage wird somit eine Ursache und aus der Bezügerin bzw. dem Bezüger der Hilfe wird eine unsolidarische Person, da sie die Gesellschaft belastet (vgl. ebd.: 81f.). Es wird ein Austauschverhältnis zwischen Eigenverantwortung und Solidarität postuliert, das «nicht überstrapaziert oder allzu leichtfertig in Anspruch» (ebd.: 84) genommen werden darf.

Ausgehend vom Grundsatz, dass Eigenverantwortung zwingend im Kontext von Freiheit zu betrachten ist, wirken die mit der Konstruktion Eigenverantwortung verwobenen Forderungen stark normativ. Grundsätzlich kann eine Annäherung an Eigenverantwortung nur in sehr tiefen und grundlegenden Reflexionsschichten erfolgen, denn es handelt sich um eine Frage nach der Willensfreiheit, einer grundsätzlichen philosophischen Frage des menschlichen Daseins. Frank Schulz-Nieswandt und Werner Sesselmeier (vgl. 2009: 13) merken vor diesem Hintergrund auch an, dass ein grosser Teil der ökonomischen Wohlfahrts- und Rationalitätstheorie diese Frage nicht beachten.

Um sich dem Begriff der Eigenverantwortung empirisch zu nähern, ist somit ein Referenzsystem zur Konstruktion von Freiheit nötig. Wenn aus der konkreten Zuschreibung von Eigenverantwortung (also der Verpflichtung einer Person, für das in Freiheit erfolgte eigene Handeln einzustehen und ihr Handeln darauf abzustimmen) eine nachgelagerte Forderung abgeleitet werden soll, so bedarf es zusätzlich einer normativen Bestimmung von Gerechtigkeit in Bezug auf Freiheit.

 

Literatur

  • Bogai, Dieter (2007). Bestimmung von Rechten und Pflichten im aktivierenden Sozialstaat. In: Sozialer Fortschritt, Heft 9-10/2007, S. 236-243
  • Degen, Bernard (2006). Sozialversicherung zwischen individueller und staatlicher gestützter gesellschaftlicher Verantwortung. In: Sozialalmanach 2007. Schwerpunkt: Eigenverantwortung. Luzern: Caritas-Verlag
  • dtv-Lexikon (1999). dtv-Lexikon in 20 Banden. Mannheim: Brockhaus und München: Deutscher Taschenbuch Verlag
  • Duden (2012). Duden Online. URL: http://www.duden.de [Zugriff: 8.7.2012]
  • Janowitz, Klaus (2006). Präkarisierung. In: Sozialwissenschaften und Berufspraxis, Heft 02/2006, S. 335-341 Stuttgart: Verlag Lucius & Lucius
  • Sesselmeier, Werner / Schulz-Nieswandt, Frank (Hrsg.) (2009). Konstruktion von Sozialpolitik im Wandel. Implizite normative Elemente. Berlin: Duncker & Humblot
  • Schmid, Walter (2006). Sozialarbeit und Eigenverantwortung: Das Empowerment-Konzept. In: Sozialalmanach 2007. Schwerpunkt: Eigenverantwortung. Luzern: Caritas-Verlag
  • Noti, Odilio (2006). Selbstverantwortung und Solidarität: Sozialethische Anmerkungen. In: Sozialalmanach 2007. Schwerpunkt: Eigenverantwortung. Luzern: Caritas-Verlag